Dienstag, September 05, 2023

Grenzerfahrung SHITSTORM

Es kann eine unglückliche Aussage sein oder manchmal nur einziges falsches Wort. Es kann eine kleine Gestik sein oder eine Handlung. Manchmal auch etwas, was vielleicht schon viele Jahre her ist. Es kann ein Social Media Post sein – vielleicht einfach nur zum falschen Zeitpunkt. Oder vielleicht auch eine Beschuldigung von Dritten. Ob wahr und geprüft oder eben auch nicht.

Und dann es geht los! Eine riesige Lawine setzt sich in Bewegung. Der sogenannte SHITSTORM. Es kann Personen treffen genauso wie Organisationen, Unternehmen, Vereine. Quasi jeden. Geschützt ist wirklich niemand.





Und alle machen mit. Die Journalisten aus den Printmedien reiten die Welle genauso wie die klassischen Medien. Alle beteiligen sich und erhoffen Klicks & Quote. Dann schwappt es über zu den digitalen Medien. Die Masse springt auf den Zug auf und haut ebenfalls drauf. Die Lawine ist nicht mehr zu stoppen. Der Shitstorm geht viral.

Manchmal regional. Manchmal bundesweit. Oder wie neulich beim spanischen Fußball-Präsidenten Rubiales über den ganzen Globus. Ein Kuss im Zuge seiner Freude & Euphorie über den gewonnenen WM-Titel. Grenze klar überschritten. Ein Kuss zu viel.

Beim Überlegen, wer allein in den letzten 2-3 Jahren Opfer eines solchen Shitstorms war, fallen mir auf Anhieb gleich mehrere Dutzend Namen ein. Politiker, Sportler, Schauspieler, Sänger, Moderatoren, Sportreporter, Kabarettisten. Was es bei den betroffenen Personen bewirkt und hinterlässt, dass kann man sich als Außenstehender vermutlich selbst ansatzweise nicht vorstellen. Wenn sich auf einmal alles gegen einen vereint. Erst die Medien und die Masse, dann auch das geschäftliche Umfeld. Manchmal dann auch das private Umfeld. Und wenn es ganz pervers läuft, dann sogar die eigenen Freunde.

Wenn jemand mental sehr stark ist, dann wird er/sie diese Phase irgendwie überstehen. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, dann bricht eine Person daran zusammen. Im schlimmsten Fall für immer. Der Stachel - da bin mir jedoch ziemlich sicher - wird bei allen sitzen bleiben. Sehr lange. 

Auch Unternehmen können durch einen Shitstorm in Krisen schliddern. Wenn sie nicht rechtzeitig gegensteuern, kann es gewaltige Auszüge nehmen und zum Konkurs führen. Auch für Organisationen & Verbände kann so ein Orkan verheerendste Folgen haben.

Ich habe viele Fragen: Ist dieses Phänomen jetzt in unserer Gesellschaft etabliert? Bleibt es immer so? Wird es vielleicht sogar noch krasser und schlimmer in den nächsten Jahren? Und was macht es mit den Personen, die in der Öffentlichkeit stehen? Politiker, Sportler, Schauspieler oder Kabarettisten? Die ständig schwebende Angst, eine unpopuläre Aussage zu tätigen. Oder einen Satz auszusprechen, der entweder falsch verstanden wird oder einfach nicht der Meinung der Masse entspricht. Um dann erst von der Medien und anschließend vom Mob auf Social Media digital gesteinigt zu werden. Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass bei vielen eine große Angst vor so einem eintretenden Ereignis herrscht. Wir befinden uns aktuell inmitten einer großen Transformation. Zurückdrehen werden wir die Zeit nicht können. Wir werden uns mit den neuen Gegebenheiten arrangieren müssen. Und entsprechend anpassen.

Zum Abschluss noch eine kurze erlebte Geschichte.

WUHAN
Wenn ich an dieses Erlebnis zurückdenke, läuft mir immer noch ein kalter Schauer über den Rücken. Einige Personen in meinem engsten Umfeld kennen die Story. Aber ansonsten habe sie bislang niemanden erzählt. Und eigentlich wollte ich es auch niemanden erzählen. Aber irgendwie passt die Geschichte gerade ganz gut zum Thema.

Frühjahr 2020
Die Welt stand gerade still. Corona hatte alles im Griff. Niemand wusste, was kommen wird oder wie es weitergehen würde.
Während dieser Zeit hatte meine Tochter bei einem Deutschen Influencer auf Social Media ein Video entdeckt, indem der Influencer einen Witz erzählt. Thema Corona. Sie fand das Video bzw. den Witz lustig und schickte mir es. Ich konnte ebenfalls drüber lachen. Aus Copyright-Gründen wollte ich dieses Video jedoch nicht bei mir posten. Da es ein sehr kurzer Witz war (3-Zeiler), schrieb ich ihn runter und veröffentliche ihn in Wortform auf meinem Twitter-Account.

Da Wuhan im Text vorkam und diese Stadt bei den Twitter-Trends damals weit oben stand, wurde mein Tweet in den ersten Minuten außergewöhnlich häufig angeklickt. Zig mal mehr als jeglicher andere Beitrag zuvor. Die Herzchen für „Gefällt mir“ oder Smileys als Antwort rauschten im Sekundentakt rein. Offenkundig traf ich den Humorgeschmack vieler anderer. Wobei ich hier nochmals betonen möchte, dass es wirklich ein völlig harmloser und einfacher Witz war. Und auch JEDER ihn als Witz verstehen würde. Wiederholen werde ich ihn hier allerdings nicht. Die Gründe werdet ihr mit dem Folgenden nachvollziehen können.

5 Minuten nach dem Posten meines Witzes erhielt ich einen Kommentar unter meinem Tweet. Es war eine Deutsche, die ihrerseits auf ihrem Account recht viele Follower hatte. Sie hatte offenkundig einen anderen Geschmack für Humor als ich. Ihre Antwort unter meinem Post lautete wie folgt: „Wie können Sie es moralisch vertreten in so einer Zeit solch einen Witz zu posten?“ Sie setzte noch 2 zu diesem Zeitpunkt aktuelle #HASHTAGS mit unter ihre Antwort. 

Es war ihre Meinung und ihre Kritik. Auch ihre Wortwahl war in Ordnung. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es vermutlich auch nicht geschrieben hätte, wenn sie ansatzweise gewusst hätte, was sie damit auslöste und was mich in den Minuten danach erwartete. Mehrere Follower ihres Accounts schlossen sich nämlich ihrer Meinung an und kritisierten mich aufgrund meines Posts. Die Wortwahl wurde jedoch zunehmend rücksichtsloser. Es ging in Beschimpfungen über. Mit jeder Minute wurde es heftiger.

Dann geschah etwas, was ich im Nachhinein nicht wirklich erklären kann. Ich kann es nur vermuten. In jedem Fall aber kamen nun auch viele ausländische Accounts hinzu, die wilde Beschimpfungen gegen mich  losließen. Jetzt allerdings war nicht nur ich allein das Ziel der wüsten Rundumschläge, sondern auf einmal alle Deutschen. Wörter fielen, die ich hier nicht wiederholen möchte. Ganz schlimm.

Anschließend wurde es noch kurioser. Durch die hetzenden Wörter, die einiger User bei ihren Schimpfkanonaden benutzten, ist dann noch eine weitere Gruppe "geweckt" worden. Ich habe keine Ahnung, ob in irgendeinem Forum dazu aufgerufen wurde, dass da jemand gerade Hilfe benötigt. Oder ob es irgendwelche Bots waren, die durch das Benutzen von bestimmten Schlagwörtern, aktiviert wurden. Auf jeden Fall kamen nun etliche Accounts mit ins Spiel, die auf einmal nicht nur mich, sondern auch alle Deutschen verteidigt haben. Und auf alle anderen eingedroschen haben. Mein völlig harmloser 3-Zeiler bzw. die Kommentierungen darunter wurden zum Schlachtfeld eines verbalen Kriegs zweier größerer Gruppierungen. Und nochmals kurz zum Verständnis >> Das ganze Szenario spielt sich innerhalb von 15 Minuten ab.

Mir wurde heiß. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Mein Blutdruck hatte zu diesem Zeitpunkt vermutlich Werte, die hochgradig ungesund waren. Was hatte ich denn bloß gemacht? Es sollte doch nur ein kleiner harmloser Witz sein. Nach gut einer Viertelstunde und knapp 100.000(!) Views, die der Tweet mittlerweile ausgelöst hatte, zog ich die Reißleine und löschte den Beitrag. Der stand mittlerweile weltweit auf Platz 1 unter dem Hashtag besagter Stadt aus China. Es war zwar einige Minuten zu spät, aber ich bin zumindest froh, dass ich ihn gelöscht habe. In der Zwischenzeit hatten etliche Personen eine dauerhafte Löschung meines Twitter-Accounts bei der Plattform aufgrund von Hetze und Rassismus beantragt.

Darüber jedenfalls informierte mich Twitter mit einer E-Mail. Man habe jedoch meinen Beitrag gesehen und geprüft. Und dabei keinerlei Verstöße gegen irgendwas feststellen können. Ich solle zukünftig jedoch bei den Inhalten etwas aufpassen. So die Stellungnahme der Plattform.
Tja, so schnell und einfach kann etwas viral gehen. Es kann wirklich jeden treffen. Absolute Vorsicht ist geboten. Nicht nur beim Posten von Inhalten, sondern auch beim Antworten und den Stellungnahmen. Eine Schlammlawine kann schneller ins Rollen kommen als einem lieb ist. 

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