Bei
einem Punkt sind wir uns wohl alle zu 100% einig. Wir haben die Schnauze
gestrichen voll von der aktuellen Situation und wünschen uns nichts sehnlicher
zurück als die Normalität. Endlich wieder all die Dinge machen zu können, die
wir noch vor 15 Monaten gemacht haben. Dass unsere Kinder wieder normal zur
Schule oder in die Kita gehen können. Oder dass unser Business wieder normal
läuft. Und dass wir uns wieder mit Freunden in der Kneipe treffen, dass wir reisen,
ins Kino gehen oder ins Fitnessstudio können. Eigentlich sollten wir alle
gemeinsam und solidarisch an einem Strang ziehen um dieses Szenario
schnellstmöglich zu erreichen. Dennoch aber ist die Gesellschaft derzeit so
dermaßen gespalten, wie ich es noch nie festgestellt habe…wie es vermutlich
auch noch niemals vorher war.
Unterschiedliche Meinungen sind ja grundsätzlich nicht problematisch. Eher sogar förderlich. Wenn alle die gleiche Meinung zu irgendwas hätten, dann wäre es vermutlich sehr schnell langweilig. Und unterschiedliche Standpunkte zu den verschiedensten Themen gab es auch schon immer. Früher hingegen wurden sie am Stammtisch oder im Freundeskreis bei einem Glas Bier, zumindest aber vis-a-vis ausgetauscht. Man hat sich die Köpfe heiß geredet und es ging meist hitzig zur Sache. Nach dem Gespräch ist man vielleicht mit der gleichen Meinung wie vorher aus dem Talk gegangen. Manchmal jedoch hat man die Argumente des anderen ansatzweise als einleuchtend empfunden. Sich vielleicht sogar komplett überzeugen lassen oder eventuell einen Kompromiss gefunden. Zumindest aber hat man versucht Verständnis für die Ansätze seines Gegenübers aufzubringen. Und seinem Gesprächspartner Respekt gezollt.
All dies, so muss ich ehrlich gestehen, vermisse ich ein wenig seit geraumer Zeit. Speziell in Zeiten von Social Media scheint mir dieser benötigte Respekt sowie Anstand nahezu komplett auf der Strecke geblieben zu sein. Es wird nur noch aufeinander eingedroschen. Wer nicht “meiner Meinung“ ist, der wird attackiert und ist generell dumm. Ich Ich Ich. Die Stimmung & Aggression ist auf einem erschreckenden & bedrohlichen Level angekommen. Mit Argumenten und Überzeugungsarbeit wird leider nur noch sehr selten gearbeitet. Häufig geht es schnell und provokativ unter die Gürtellinie. Ist am heimischen Bildschirm natürlich auch einfacher als in einer Situation, wo ich demjenigen, der eben eine andere Meinung vertritt, gegenüber sitze.
Jetzt, in Zeiten von Corona, hat diese Entwicklung nochmals eine neue, aus meiner Sicht Besorgnis erregende Qualität angenommen. Eine Lösung für dieses Problem sehe ich leider nicht. Aber ich möchte in diesem Post versuchen zu erklären, wieso die Meinungen gerade beim Thema “Corona“ so dermaßen krass und vielfach weit auseinander liegen. Wieso die Gesellschaft, im Übrigen nicht nur bei uns im Land, so gewaltig gespalten ist.
Ich denke hierfür gibt es diverse Gründe.
Ein Hauptgrund ist meines Erachtens, dass die allermeisten von uns aktuell von großen Ängsten & Sorgen umtrieben werden. Dazu kommt, dass uns gerade derzeit wirklich niemand sagen kann, wie lange die aktuell unbefriedigende Situation noch anhält. Diese Ungewissheit macht viele gerade richtig kirre im Kopf. Wenn dann selbst die Personenkreise, denen wir sonst voll vertrauen, ebenfalls sehr unterschiedliche, teils total kontroverse Meinungen zur Thematik vertreten, wird es umso problematischer. Dies gilt insbesondere zu den Maßnahmen und zum Umgang mit dem Virus. Nicht nur innerhalb der Politik und dort teils sogar innerhalb der gleichen Parteien, gibt es Zoff. Nein, selbst die Virologen, die sich ihr ganzes Leben mit nichts anderem wie mit Viren beschäftigen und die es eigentlich wissen müssten, vertreten zum Teil unterschiedliche Standpunkte & Ansätze. Wirken teilweise ratlos. Auch bei den Medizinern und sonstigen Wissenschaftlern besteht alles andere als Einigkeit bei der Argumentation. Bei den Promis & Influencern, die wir doch sonst so sehr mögen, scheiden sich ebenfalls die Geister.
Und zoomen wir gar noch eine Stufe näher ran und beleuchten unser eigenes Umfeld, so stellen wir ebenfalls fest, dass höchst unterschiedliche Meinungen bestehen. Gar in der eigenen Familie. In den letzten 12 Monaten sind viele Ehen, Beziehungen & viele langjährige Freundschaften kaputt gegangen. Nur weil der andere eben eine Meinung zu CORONA vertreten hat, die mit unserer nicht deckungsgleich war. Die uns nicht gepasst hat.
Ich kann hier zwar nicht für alle sprechen. Aber in meinem persönlichen Umfeld habe ich von Stufe 10 (hochgradig Angst vor dem Virus, Lockdown am besten solange, bis das Virus verschwunden ist oder alle geimpft sind) bis Stufe 1 (komplette Coronaleugnung) alles dabei. Mehrfach! Und ich garantiere euch, dass sich in meinem Umfeld ehrenwerte sowie intelligente Personen befinden, die zu 100% voll im Leben stehen. Personen, die mein vollstes Vertrauen und Loyalität genießen. Selbst bei Medizinern im Bekanntenkreis sind beide Endstufen (10 wie 1) vertreten. Wie um Himmels Willen sollen wir also den benötigten Halt finden? Wie sollen wir wissen, was richtig oder falsch ist? Und was gibt uns die Genehmigung, wirklich jeden, der eine andere Meinung vertritt, als dumm hinzustellen? Ihn gar anzugreifen? Es ist schwierig…sehr schwierig. Wir sollten aber zu lernen versuchen, andere Meinungen ein wenig mehr zu tolerieren. Der-/diejenige kann sehr wohl gute und sinnige Gründe für seine Einstellung haben.
Und damit kommen wir auch zum zweiten wichtigen Punkt. Hierbei möchte ich zwei Beispiele skizzieren, anhand derer wir relativ gut sehen, wieso die Personen komplett gegenteilige Standpunkte vertreten.
Person X ist 50 Jahre alt. Finanziell ist unsere Person absolut abgesichert. Corona hat der Branche, in der unsere Person tätig ist, keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil…die Geschäfte laufen bestens. Mr. X hat allerdings einige Vorerkrankungen und Angst sich anzustecken. Die Eltern von Person X sind knapp über 80 Jahre alt. Eigentlich zwar recht fit, aber bei einer Infizierung befürchtet er das Allerschlimmste. Er hat zudem Sorgen um seine Frau, die im Pflegebereich arbeitet und die ihm schon von einigen krassen Krankheits- wie Todesfällen von ihrer Arbeit berichtet hat. Was glaubt ihr, wie Mr. X zum Virus und zum Maßnahmenkatalog steht? Richtig! Er unterstützt alle Maßnahmen zu 100%. Je härter der Lockdown, desto besser. Hauptsache das Virus verschwindet. Wenn man sich alle Eckdaten von Person X anschaut und sich in seine Lage hineinversetzt, dann kann auch überaus gut nachvollziehen, wieso er diese Meinung vertritt.
Person Y ist auch 50 Jahre alt. Er hat sich in den letzten 20 Jahren eine Existenz mit 3 Fitnessstudios aufgebaut. Alternativ zu Fitnessstudios könnte hier genauso gut Gaststätten, Hotels, Kinos, Tanzcenter, Reisebüros oder vieles anderes stehen. Obwohl er im Herbst für die geforderten Hygiene-Maßnahmen viel Geld investiert hat, sind seine Studios nun seit mehreren Monaten geschlossen. Seine 26 Angestellten sind in Kurzarbeit. Aber seine laufenden Kosten (Pacht, Kreditabzahlung vom Haus, Lebenshaltungskosten, etc.) machen ihn kaputt, da er gerade Null Einnahmen hat. Er hat seine Ersparnisse bereits komplett aufgebraucht. Hilfe vom Staat kommt nur schleppend oder gar nicht. Das Wasser steht nicht bis zur Unterkante Oberlippe, sondern bereits weit darüber. Zu Hause liegen die Nerven blank, da der 10-Jährige Sohn seit Monaten nicht in die Schule geht und der 4-Jährige nicht in den Kindergarten. Beide Kinder zeigen bereits auffällige Störungen. Gesundheitlich geht es unser Beispielperson Y astrein und er hat auch keine älteren Personen im Familien-/Freundeskreis.
Was glaubt ihr, wie Person Y zum aktuellen Geschehen steht? Korrekt! Er dreht gerade durch. Er kann der Verantwortung seiner Familie sowie seinen Angestellten gegenüber nicht mehr gerecht werden. Sie komplette Existenz steht auf dem Spiel. Er bezweifelt gerade alles, was seitens der Politik beschlossen wird. Jede aufkeimende Hoffnung auf Lockerungen wird mit neu aufgestellten Inzidenzwerten, aufgekommenen Virusmutationen & neuen Lockdowns erstickt. Person Y würde selbst eine Ansteckung mit mittelschwerem Verlauf in Kauf nehmen als Gegenwert dafür, dass er sein Business zeitnah wieder aufmachen kann und seine Kinder wieder ihren geregelten Tag in der Schule bzw. in der Kita haben. Die Uhren wieder normal ticken. Und auch hier kann man den Standpunkt unserer Beispielperson absolut nachvollziehen, wenn man sich in seine Lage versetzt….oder?
Nur 2 Beispiele. Vermutlich gibt es noch wesentlich extremere Szenarien. Dazwischen liegen Millionen von anderen Fällen. Die einen gehen mehr in Richtung Person X, die anderen Fälle mehr in Richtung Person Y. Dazu kommen noch die Coronaleugner, die Verschwörungstheoretiker und oben drauf noch die Trolle. Und alles trifft sich im Internet und lässt seinen Frust ab. Die Fronten prallen aufeinander. Es knallt. Wie bei einem Gewitter, wo kalte & heiße Luft aufeinander treffen und sich alles entlädt.
Wie eingangs bereits erwähnt, sehe ich aktuell keine Lösungen. Aber ich glaube wir würden uns alle leichter tun und mächtig Druck aus dem Kessel nehmen, wenn wir ein wenig über unseren eigenen Tellerrand hinausblicken würden. Wenn wir nicht ausschließlich nur unser eigenes Schicksal betrachten, sondern auch mal nach links und rechts schauen. Die Scheuklappen abnehmen. Dass es eben viele Menschen gibt, deren Perspektiven, Ängste & Sorgen komplett anders gestrickt sind als bei uns selbst. Dass wir auch diesen Menschen Respekt & Toleranz zeigen müssen.
Wo stehe ich persönlich mit meiner Meinung? Welche Seite hat denn jetzt Recht mit der Sichtweise?
Meine Ansicht zur Problematik ist völlig unerheblich. Und wer Recht hat mit seinem Standpunkt, dass werden wir sowieso frühestens in sehr vielen Monaten sehen. Sehr wahrscheinlich sogar erst in sehr vielen Jahren, wenn wir auf die Langzeitschäden dieser Krise blicken und diese analysieren. Und dabei vermutlich verheerende Folgen feststellen.
Ich vermute, dass *wie in vielen anderen Sachen im Leben* die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Ganz sicher aber bin ich mir, dass wir nur GEMEINSAM aus dieser Krise herauskommen. Und dafür sollten wir ALLE lernen, wieder mehr Respekt & Verständnis für unsere Mitmenschen aufzubringen. Wenn uns dies gelingt, dann hätte CORONA nämlich neben viel Leid und Schaden zumindest auch einige positive Nebeneffekte mit auf dieser Erde (zurück) gebracht. Und würde vermutlich auch eher die Flatter machen.
