Donnerstag, Juni 05, 2008

9:0, A-Game & Begegnung der besonderen Art

Seit letztem Donnerstag habe ich 9 Sessions gespielt und alle 9 gewonnen. Zwar auch kleinere Erträge dabei, aber auch einige deftige Gewinne. Ich spiele derzeit mein A-Game!

Wie die meisten ja wissen, komme ich ursprünglich vom Limit Holdem und als ich vor einigen Jahren ständig in irgendwelchen Pokerartikeln gelesen habe, dass mal wieder irgendein No Limit Profi-Spieler schrieb, dass er derzeit (oft im Vorfeld der Weltmeisterschaften in Las Vegas) nicht sein A-Game zusammen habe, da habe ich mich immer gefragt, wieso das so ist. Schlecht konzentriert? Zu wenig geschlafen? Private Probleme? Mangelhafte Vorbereitung? Ich konnte es mir nicht erklären und hatte auch kein Verständnis dafür, denn in anderen Sportarten wie z.B. Fußball, Leichtathletik, Radfahren oder Boxen kann ich mich nun mal auf den Punkt genau vorbereiten und bringe dann am Tag X oder in der Woche Y meine erwartete Leistung. Beim Limit Holdem ist es eigentlich auch ähnlich. Allerdings ist es beim Limit auch so, dass du es wie es ein Roboter abspielst und alles recht mechanisch abläuft. Du spielst dort eigentlich immer dein A-Game, außer wenn man mal heiß läuft und ein wenig auf Tilt geht.

Beim No-Limit ist jedoch alles anders. Das liegt in erster Linie daran, dass die Psyche recht stark involviert ist. Wenn du ein paar Sitzungen nacheinander verloren hast, bei denen du evtl. einfach nur Pech gehabt hast oder vielleicht auch ein paar Hände nur suboptimal oder gar schlecht gespielt hast, dann verlierst du peu á peu ein paar Prozent deines Selbstvertrauens. Du fängst an ein wenig ängstlich zu spielen und zuviel nachzudenken. In jeder Boardkarte siehst du schon deine drohende Niederlage. Du fängst an Bombenhände slow zu spielen, machst aus Angst keine Conti-Bets nach dem Flop mehr oder im Laufe der Hand auch schlechte Calls vor und nach dem Flop/Turn/River. Von den Sportarten ist Poker daher auch recht gut mit dem Golfspiel zu vergleichen, denn auch hier gibt es immer wieder Spieler, die zwischenzeitlich nicht ihr A-Game zusammen haben und teilweise die leichtesten Annäherungsschläge oder Putts versemmeln, weil in ihren Köpfen zu viele wirre Gedanken schweben und Unsicherheit auslöst.

Ich spiele derzeit auf jeden Fall mein A-Game und wenn du in einem solchen Stadium bist, dann ist es schon unheimlich. Man macht in solchen Phasen unheimlich gute Laydowns, extrem gute Calls und auch perfekt getimte Bluffs. Es ist quasi so, als wenn man durch die Karten der Gegner durchschauen kann. Nicht selten habe ich in den letzten Tagen die beiden Karten meiner Gegner exakt oder zumindest annähernd vorhergesagt und geraised, wenn ich vorn war, gecalled, wenn ich meinte er würde bluffen oder geblufft, wenn ich das Gefühl hatte, dass mein Gegner nicht ganz viel hat, aber immerhin noch mehr als ich. Teilweise habe ich regelrecht Angst vor mir selbst bekommen...so geniale Entscheidungen habe ich getroffen...lol (Eigenlob stinkt!).

Knapp 3 K habe ich diesen 9 Tagen gewonnen und ich hoffe, dass ich diese Bilanz noch weiter ausbauen kann. Mein Rekord an ungeschlagenen Sessions in Serie liegt übrigens bei 33. Das war im Frühjahr 1994 in Las Vegas. Als ich seinerzeit bei ungefähr 20 Plus-Sessions in Serie angekommen war, habe ich im Mirage Casino gespielt. Es war Wochenende und es war ein Tisch mit 9 "Vollpfosten" als Gegner. Keiner hatte Ahnung und sie kannten gerade mal die Regeln. Gespielt wurde 5-10 Limit Holdem. Aber ich bekam an diesem Tag kein Bein an die Erde und was immer meine Gegner an Wunderkarten benötigten...diese wurden am Turn oder spätestens am River aufgedeckt. Ich war richtig tief im Minus, aber ich wollte mit aller Macht meinen Rekord der ungeschlagenen Sessions in Serie halten und so spielte ich immer länger und länger. 15 Stunden...20 Stunden...25 Stunden...am Stück. Ich konnte und wollte nicht aufhören. Irgendwann nach gut 32 Stunden bekam ich dann einen richtig guten Lauf und konnte einige ganz fette Pötte gewinnen und als ich dann nach knapp 35 Stunden eine Zwischenbilanz zog, war ich satte 3 $ im Plus und habe daraufhin meine Sitzung sofort beendet. Anschließend mit dem Taxi nach Hause und ab ins Bett. Ich habe dann -unterbrochen durch 2 Toilettengänge- ca. 24 Stunden geschlafen und quasi einen Tag "übersprungen". Wenn man dann aufwacht, dann weiß man nicht mehr, ob man ein Männchen oder ein Weibchen ist und man ist total durch den Wind. Es hat mindestens 8 Stunden gedauert, bis ich wieder einigermaßen in der Spur war und klar denken konnte. Ein mit Worten nur sehr schwer zu beschreibendes Erlebnis.

Ein ähnliches Szenario befürchte ich jetzt bald auch wieder, denn ich habe mir fest vorgenommen diesen Rekord von 33 Online-Sessions in Serie zu brechen. Heute Nacht war ich zunächst relativ ordentlich im Minus und so musste ich bis kurz vor 6.oo Uhr morgens durchspielen bis ich ein kleines Plus hatte. Anschließend sofort aufgehört und total übermüdet ins Bett. Habe meinen Rhythmus dadurch bereits komplett "versaut", denn normalerweise gehe ich bereits um 3.oo Uhr ins Bett...lol.

Dieses Mal wird es vermutlich früher oder später so ausgehen, dass ich irgendwann mal einen derart abartigen Lauf haben werde und dann mit Gewalt versuche die Verluste wieder wettzumachen. Ich beglückwünsche jetzt schon mal die Online-Spieler, die in dieser Phase an meinen Tischen sitzen, denn dann spiele ich nicht mein A-Game, sondern mein C- oder evtl. auch nur mein K-Game und werde Chips regelrecht verschenken. Dann bin ich froh, dass niemand hinter mir sitzt und sieht, welche haarsträubenden Calls ich mache oder in welch aussichtlosen Situationen ich versuche jemanden auszubluffen, der gerade die Nuts auf der Hand hält. Ich spiele es dann einfach nur "Scheiße"! Aber wollen wir mal hoffen, dass bis zu diesem Tag x noch ein bißchen hin ist und ich die Serie von 33 Gewinnsitzungen in Folge brechen kann. Bin sehr optimistisch und strotze momentan mal wieder nur so vor Selbstbewußtsein. Ich werde euch auf dem Laufenden halten.

Im Leben trifft man mal interessante und manchmal auch eher uninteressante Leute. Manche Begnungen löscht man relativ schnell wieder aus seinem Erinnerungsvermögen und manche bleiben auch recht lange haften. Am letzten Freitag hatte eine Begegnung und ein Gespräch mit einem Menschen, das mich vermutlich noch länger beschäftigen wird.

Von Beginn an:

Ich war in Berlin und hatte eine Sendung zu kommentieren. Anschließend fuhr ich noch in die Disco "Kalkscheune", weil ich hoffte mich dort noch mit einem Bekannten zu treffen. Dieser sagte aber kurzfristig ab und so gönnte ich mir ein paar Wodka-Red Bull und fuhr dann gegen 2.30 Uhr morgens nach Hause. Nach Hause heißt in diesem Fall Kreuzberg, wo mein Kumpel Frank seine Wohnung hat. Auf dem Weg von der U-Bahn Station zu Frank's Haus sehe ich auf einmal, wie eine Frau, die total besoffen zu sein scheint, auf der Erde am Fußgängerweg kniet. Obligatorisch, ich hatte ja selbst einen im Schlitten, frage ich sie, ob alles in Ordnung sei. "Nein, mir geht's gerade nicht so gut", antwortet sie und ich wundere mich über die saubere Ausdrucksweise. Scheinbar ist sie irgendwie doch nicht besoffen. "Ob ich ihr bitte helfen und sie hochrichten könne", fügt sie hinzu. Sie habe Parkinson (Schüttellähmung) und habe versäumt rechtzeitig ihre nächste Ampulle zu spritzen. Ich helfe ihr hoch und sehe zum ersten Mal in ihr Gesicht. Sie ist um die 55 Jahre alt. Anschließend fragt sie mich, ob ich sie stützen könne und sie zu ihrem Haus begleiten würde. Ich frage sie, wo sie wohnt und ihre Wohnung ist in der Tat nur knapp 300 m hinter Frank's Wohnung und ich sage ihr meine Hilfe zu.

Als wir an ihrem Haus ankommen, bittet sie mich noch sie hoch in die erste Etage zu begleiten. Hmm…so langsam wird es mir doch ein wenig unheimlich, aber meine innere Stimme sagt mir, dass hier alles in Ordnung ist und ich nicht in irgendeine Falle tappe. Ich führe sie hoch und kriege erst einmal einen Schock, als ich einen Blick in ihre Wohnung werfe. Bei mir zu Hause sieht es ja schon chaotisch aus, aber den Anblick hier möchte ich doch jedem ersparen. Es war wirklich schlimm.

Da sie es vor Schmerzen nicht aushält, legt sie sich direkt wieder auf den Boden und bittet mich anschließend ihr eine Spritze (sie erklärt mir wo diese liegt) zu holen. Ich tue dies und gebe sie ihr. "Kannst du sie mir injizieren?", fragt sie mich. Oh Gott, denke ich mir, jetzt hast du dich aber in etwas reingeritten. Hätte ich womöglich besser die U-Bahn davor oder danach genommen oder wäre doch mit dem Taxi nach Hause gefahren. Ich kriege ein wenig Angst.

Sie zieht ihr T-Shirt hoch und an ihrem Bauch sehe ich ca. 150 verschiedene Einstichlöcher und es wimmelt von blauen Flecken. "Du mußt eine freie Stelle finden. Wo es noch nicht verhärtet ist...sonst schmerzt es zu sehr für mich und es brennt wie Hölle". Ich habe in meinem Leben noch keine Injektion gesetzt, aber ich weiß, dass ich jetzt meine Pflicht tun muß (so wie sie am Zittern ist bzw. wie der ganze Körper am Schütteln ist, kriegt sie das wirklich selbst nicht mehr hin), fühle mit dem Zeigefinger einige Stellen ab und jage die Ampulle mit der ca. 1,5 cm Nadelspitze dann mit Schmackes in ihren Bauch.

Nach 2-3 Minuten hört das Schütteln bei ihr auf. Kurze Zeit später dann auch die Schmerzen. Anschließend erzählt sie mir sehr viel von sich. Dass sie einige Jahre in Südafrika und in London gelebt habe und anschließend in verschiedenen Berliner Museen als Kunstführerin gearbeitet habe. Archäologie hat sie studiert. Wir kommunizieren für eine halbe Stunde sogar in Englisch und die Unterhaltung ist wirklich recht interessant. Sie sei früher sehr sozial gewesen und habe anderen Menschen geholfen wo sie nur konnte. Dann, vor ca. 10 Jahren habe sie zum ersten Mal so komische Anzeichen in ihrem Körper wahrgenommen. Und dann kamen diese Signale immer öfter und regelmäßiger. Dann die niederschmetternde Diagnose der Ärzte:

Parkinson => eine unheilbare Krankheit!

Mit den Jahren wurde es immer schlimmer und mittlerweile ist sie ohne fremde Hilfe völlig aufgeschmissen. Nachts kann sie maximal 2 Stunden am Stück schlafen. Dann wacht sie aufgrund der starken Schmerzen auf und setzt sich die nächste Injektion. Sie bekommt Hartz IV, zudem ist sie in der Pflegestufe 1 und bekommt finanzielle Unterstützung aufgrund ihrer Krankheit, aber das ganze Geld geht komplett für die vielen Medikamente drauf. Unterm Strich bleiben ihr nur 0,37 € pro Tag fürs Leben! (Ich sage ihr besser nicht, dass ich teilweise Schwachsinns Donk-Calls mache für Beträge, die sie sicher durch die nächsten 6 Monate führen würden).

So etwas in Deutschland?! Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Mit der Zeit hätten sich auch alle Freunde und Bekannte peu á peu von ihr abgewendet. Sie alle konnten die Situation nicht mehr handeln. Nach knapp 2 Stunden setzt dann das Schütteln ihres Körpers wieder ein, die Schmerzen beginnen stärker zu werden und es ist an der Zeit für die nächste Ampulle.

Da ich mittlerweile ja bereits Halbprofi bin, hole ich die nächste Ampulle, suche die nächste freie Stelle auf ihrem Bauch und spritze das Schmerzmittel in ihren Körper. Als wir uns dann kurze Zeit später verabschieden, gebe ich ihr noch ein bißchen Geld. Ich denke, dass sie es weitaus nötiger hat als ich. Ich habe auch ihre Tel.-Nummer und werde sie beim nächsten Mal definitiv besuchen.

Eines ist mir auf jeden Fall an diesem Abend sehr bewußt geworden. Es gibt wesentlich schlimmere Dinge als einen 1- oder 2-outer am River zu kassieren!

Gruß

Martin

Ich habe anschließend auch ein bißchen nach ihr “gegoogled“, da ich ihren Namen weiß und fand dabei folgenden Bericht über sie im Internet: http://www.tagesspiegel.de/berlin/;art270,2226613

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