Zunächst muss ich ein wenig weiter ausholen. Während meines Ägypten-Urlaubs im Frühjahr 2008 hatte ich Olga kennen, später auch lieben gelernt. Nach zwei gemeinsamen Urlauben in der Türkei im Frühjahr sowie Herbst 2009 lud mich Olga dann in ihre Heimat ein. Sie wohnt allerdings nicht in Moskau oder St. Petersburg, sondern in Perm (Sibirien).
Perm? Vermutlich hat der eine oder andere von euch den Namen dieser Stadt noch nie gehört, korrekt? Perm gehört mit gut einer Million Einwohnern zu den größeren Städten Russlands und ist am Uralgebirge gelegen. Jenem Gebirge an der westlichen Grenze Sibiriens, dass Europa und Asien trennt. 4.000 Kilometer entfernt von Rheda-Wiedenbrück. Ein Trip mitten im Winter nach Sibirien? Hörte sich für mich genauso abenteuerlich wie sexy an! Natürlich nahm ich die Einladung an.
Reisepass? Check ✔
Visum für Russland? Check ✔
Klamotten für etwas kühlere Temperaturen? Check ✔
Ein paar Tage vor meinem geplanten Hinflug dann jedoch ein Anruf von einer in großer Sorge geratenen Olga. „Martin, ich muss dir leider mitteilen, dass es hier momentan sehr, sehr kalt ist. Wir haben selbst für unsere Verhältnisse extreme Temperaturen und in den nächsten Tagen soll es gar noch kälter werden“.
Hallo...? Was dachte Olga? Dass wir in Deutschland ähnliche softe Winter wie in Ägypten oder in der Türkei haben? Ich bin doch kein Weichei! Handschuhe, Mütze und Schal waren im Koffer und sie solle sich mal bitte keine Sorgen um mich machen, teilte ich ihr mit.
Einen Direktflug nach Perm von Deutschland gibt es nicht. Es ging über Moskau. Und den ersten Begrüßungsschock bekam ich direkt nach der Landung auf dem Flughafen Domodedovo. Als ich das Flughafengebäude verließ um eine Zigarette zu rauchen, wurde ich dort bei satten -20 Grad empfangen. Das allein wäre nicht mal ganz so schlimm gewesen, wenn dazu nicht auch noch der stramme Ostwind gepfiffen hätte! Upps…zum ersten Male merkte ich, dass ich die Temperatur vielleicht doch ein ganz klein wenig unterschätzt hatte. Um es aber mal direkt vorweg zu nehmen…das war der erste Anfang und ein allererste Vorbote. Es sollte noch wesentlich heftiger werden!
Auf dem zweitgrößten Flughafen Moskaus hatte ich dann etwas mehr als 7 Stunden Aufenthalt bis zu meinem Weiterflug nach Perm. Diese 7 Stunden sollten, so würde ich im Nachhinein sagen, mit die aufregendsten Stunden in meinem ganzen Leben werden. Aber dazu dann vielleicht mal mehr in einem anderen Blogeintrag. In jedem Fall ging es abends um kurz nach 22 Uhr pünktlich weiter Richtung Sibirien, wo mich Olga kurz vor Mitternacht in Empfang nehmen würde.
Flughafen Moskau Domodedovo |
Kurz nach der Landung in Perm dann gleich die nächsten Überraschungen. Nie
zuvor im Leben war ich auf einem kleineren Flughafen. Selbst der Baby-Bahnhof unserer Kleinstadt
Rheda-Wiedenbrück war größer. Und der Raum, wo die Gepäckstücke einrollten, war
kleiner als mein eigenes Wohnzimmer! Die Hauptsache war: Mein Koffer war
da…im Gegensatz jedoch zu Olga. Dies war allerdings nicht wirklich eine Überraschung,
denn mit Pünktlichkeit hatte sie es nicht so.
Das Gepäck-Zentrum am Airport in Perm - definitiv kleiner als manch Wohnzimmer :) |
Nun stand ich mitten in der Nacht als einziger nicht abgeholter Passagier vor
dem Terminal eines gottverlassenen sibirischen Flughafens. Und dies bei
Außentemperaturen von -28 C, also nochmals einen gewaltigen Schub kühler als in
Moskau!
Ich musste aber nicht lange warten. 15 Minuten später war Olga mit dem angeheuerten Fahrer da um mich abzuholen. Nachdem ich meine Sachen in den Kofferraum packte und wir losfuhren, dauerte es nicht mal zwei Minuten, bis ein Polizeiwagen uns überholte und anhielt. KGB? Wir wurden in jedem Fall komplett gecheckt und der Fahrer musste eine Strafe bezahlen, weil er mit seinem Auto gar nicht in diesen (Flughafen-) Bezirk durfte, dafür eine spezielle Lizenz benötigt hätte. Es waren nur 10 Euro und ich übernahm die Kosten, nachdem uns der Chauffeur sicher zu unserem für knapp 2 Wochen im Zentrum Perms gelegenen Apartment gebracht hatte. Das Anmieten dieses Studio-Apartments machte in jedem Fall Sinn! Einerseits wohnte Olga recht weit außerhalb vom Stadtkern, andererseits mit ihrer 4-köpfigen Familie in einer schnuckeligen 50m² Wohnung. Da war mir das Risiko eines Lagerkollers dann doch zu hoch. Unser Studio war nicht nur ideal gelegen, sondern auch komplett möbliert und mit allem ausgestattet, was man sich wünschen konnte. Exklusive Küche, schnelles W-LAN und dazu noch ein mega geiler Blick über die Stadt, denn die Wohnung lag im 9. Stock eines Plattenbaus.
Perm-Zentrum. Unser Studio-Apartment lag im 9. Stock. |
Als wir am nächsten Morgen das Haus verließen, bekam ich den ersten Vollschock!
Es war -30 C. Die Kälte zog wirklich durch alle Öffnungen und erreichte meinen
kompletten Körper. Nach 2 Minuten war ich komplett unterkühlt. Ich merkte, dass
ich kleidungstechnisch definitiv nicht passend gewappnet war und ganz dringend
aufrüsten musste. Eine Thermo-Unterhose,
dicke Wollsocken und eine zwar nicht so stylische, aber dafür wesentlich
effektivere Kopfbedeckung standen ganz oben auf der Shoppingliste und waren
auch schnell erworben. Meine Kleidung,
wenn ich rausging, sah jetzt so aus ▶
Unterkörper: Ein paar Kniestrümpfe, darüber ein paar dicke warme Wollstrümpfe, warm haltende Winterschuhe, Unterhose, eine lange Thermo-Unterhose, normale Hose
Oberkörper: Unterhemd, T-Shirt, darüber ein warm haltendes Thermo-Shirt, darüber einen Hoddie und darüber dann meine Winterjacke, Handschuhe
Kopf: Schal, russische Wintermütze + Gesichtsbedeckung (ganz wichtig!)
Seit der Reise definitiv Russland-Fan |
Mit der passenden Kopf-Bekleidung geht alles...! |
Über diese knallharten Minusgrade zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Richtig
nachvollziehen können es vermutlich nur diejenigen, die bereits selbst mal ähnlich krasse Temperaturen miterlebt haben. Es war einfach unfassbar kalt und trotz der guten
Schutzkleidung erreichte die Kälte mühelos und blitzschnell alle Körperteile. Aber es war erst
der Anfang. In den TV-Nachrichten der Region wurde bereits gewarnt, dass es in
den nächsten Tagen nochmals richtig anziehen würde! Oh mein Gott.
Und es wurde in der Tat noch frischer: -32 C, -35 C, -40 Grad. Man konnte es draußen jetzt wirklich nur noch maximal 5-10 Minuten aushalten. Länger war auch nicht wirklich empfohlen, wollte man dem Tod nicht direkt ins Auge blicken. Das Einatmen ging jetzt nur noch durch die Nase, da die Lunge beim Einatmen durch den Mund schmerzte. Dennoch, so würde ich heutzutage sagen, war es die mit Abstand geilste Luft, die ich jemals in meinem Leben eingeatmet habe…der Satz hört sich zwar irgendwie komisch an, aber anders kann ich es nicht beschreiben. Nie vergessen werde ich auch die Momente, wenn wir nach 10 Minuten draußen irgendwo einkehrten. Wenn sich die Hände und Füße, dann der gesamte Körper etwas aufwärmte und das Blut in den Adern und Venen wieder spürbar war. Ein zunächst schmerzliches, dann jedoch überaus angenehmes Gefühl stellte sich ein, löste gar Glückshormone in mir aus.
Aber es gab auch Probleme. Als erstes machte die Heizung in unserer Wohnung die Grätsche. Natürlich nicht nur bei uns, sondern in den anderen Wohnungen auch. Das Wasser war gefroren und lief nicht mehr durch die Leitungen. Gott sei Dank brachte der Vermieter unseres Studios sehr zeitnah zwei Power Elektro-Standheizungen (eine fürs Schlafzimmer und eine fürs Wohnzimmer). Puh...Schwein gehabt! Es gibt auch nette und tolle Vermieter!
Als nächstes gab die Hydraulik des Aufzugs in unserem Plattenbau der Kälte nach und somit den Geist auf. Treppen steigen war angesagt und ich verfluchte die schöne Aussicht im 9. Stock! Hätten wir uns doch für das Studio im zweiten Stock entschieden. Ich weiß gar nicht, ob ich heutzutage überhaupt noch in der Lage wäre, zwei schwere Einkaufstüten in den 9. Stock zu schleppen? Sehr wahrscheinlich nicht.
Man sah jetzt auch kaum noch Autos auf den Straßen. Sie sprangen einfach nicht mehr an. Minusrekord war dann -43 C! Selbst in Perm kommt so ein strenger Winter nur 2-3 Mal in 100 Jahren vor. Ich war dabei. Immer wieder kam mir der Gedanke hoch, wie Menschen, die noch 3.000 Km weiter östlich wohnen bei Temperaturen um die 50-60 Grad unter Null überhaupt (über-) leben können. Vermutlich, weil sie einfach eine andere Genstruktur haben.
Nun ja, es wurde dann Tag für Tag etwas ‘wärmer‘. Bei meinem Rückflug war es dann “nur“ noch -33 C. Ein wenig bange war mir schon. Der Abflug war bereits zweimal verschoben worden, weil die Tragflächen immer wieder aufs Neue enteist werden mussten. Die Verantwortlichen schauten auch nicht gerade optimistisch aus. Aber es lief alles glatt und gute zwei Stunden später landete ich wieder in Moskau. Die -5 C dort empfand ich dann fast wie das Betreten einer Sauna...kein Witz!
Rückflug aus Perm bei - 33 C |
Ps.: Die Sommer in Perm und Umgebung werden übrigens verdammt heiß! Wesentlich wärmer als bei uns. Wochenlange Temperaturen um die 35C/40C und ein azurblauer Himmel ist völlig normal.
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