Samstag, Februar 21, 2015

Everything for free beim Pai Gow Poker

Zu Beginn dieses Blogeintrages möchte ich eines zunächst ganz klar stellen! Ich habe kein Alkoholproblem! Eigentlich sogar ganz im Gegenteil. Ich kann wirklich wochenlang ohne einen einzigen Tropfen Alk auskommen, es macht mir nicht im Geringsten etwas aus. Aber hier und da juckt es mich dann doch einmal. Vielleicht so einmal im Monat…dann jedoch meist richtig! Es sehe es als eine Art Formatierung der Festplatte an um die Birne in regelmäßigen Abständen wieder richtig frei zu kriegen. Ich weiß zwar, dass mit jedem Vollrausch etliche (Tausende!) Gehirnzellen zerstört werden, aber nehme dies billigend in Kauf. Man kann die zerstörten Zellen durch viel Gehirnjogging auch wieder neu generieren…glaube ich jedenfalls.

Auch während meiner Zeit in Vegas habe ich ca. einmal im Monat einen so genannten Alkoholtag eingestreut. Meistens, wenn ich mal wieder mehrere Verlusttage am Pokertisch in Serie hatte um einfach mal den Negativlauf zu unterbrechen. Hat übrigens häufig auch funktioniert :)

Den meisten dürfte auch bekannt sein, dass in Las Vegas Casinos alles, wirklich alles (!) an Getränken frei ist. Es kostet gar nichts außer dem obligatorischen Trinkgeld für die meist sehr attraktiven Kellnerinnen. 50Cent oder wenn sie sehr extrem hübsch ist, dann gibt man auch gern einen Dollar…oder zwei. Der einzige Haken an der Sache: man muss während der Bestellung am Spielen sein und von daher rechnet sich das Ganze dann auch wieder fürs Haus. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass der Mensch unter Alkoholeinfluss automatisch zu höheren Risiken neigt und somit auch wesentlich freizügiger beim Ausgeben von Geld ist. Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute in Las Vegas irgendwann morgens im Hotelzimmer aufgewacht sind und dann beim Frühstück in Schockstarre gefallen sind, als sie bemerkt haben, dass sie in der vergangenen Nacht (wohlbemerkt im Vollrausch!) mehrmals Kontakt mit dem Bankautomaten hatten und eine gewaltige Schneise in ihr angespartes Guthaben gefräst haben.

Ich musste in Vegas also irgendwie eine Möglichkeit finden, wie ich parallel zocken und trinken konnte…und dies halt auf günstigstem Wege. Na klar hätte ich dies beim Pokern in den kleinen Limits machen können. Das habe ich zu Beginn auch mehrfach ausprobiert, aber irgendwie fand ich nach dem vierten oder fünften Drink auf einmal alle suited Starthände total sexy und das hat mich richtig gekostet. Außerdem bluffte ich viel zu viel. Dies wurde unterm Strich auch extrem teuer. Ich musste also einen anderen und günstigeren Weg finden.

Mich an die Automaten zu setzen und stundenlang irgendwelche Knöpfe drücken oder Hebel an Cent-Maschinen zu ziehen wäre gewiss billiger gewesen, aber das war mir einfach zu langweilig und komplett sinnfrei. Es hat mich nie gereizt an diesen Maschinen zu spielen (aber zu diesem Thema habe ich in den nächsten Wochen auch nochmals eine ganz interessante Story).



Irgendwann beim Schlendern durch ein Downtown Casino fiel mir dann eine sehr attraktive Dealerin (Kartendealerin!) auf. Sie gab die Karten für ein asiatisches Spiel, welches sich Pai Gow Poker nannte. Und ich kann nur sagen: Gott sei Dank machte ich den Stopp an ihrem Tisch und ließ mir das Spiel ausführlich erklären. Anbei kurz die Regeln:
Jeder Teilnehmer am Tisch bekam sieben Karten und man musste aus diesen sieben Karten zwei Blätter bilden. Eine Pokerhand á 5 Karten und eine weitere á zwei Karten. Einziges Kriterium: Das 5er Blatt musste besser sein als das 2er Blatt. Jetzt wurde das eigene 5er Blatt mit dem gebildeten 5er Blatt des Casinos verglichen und das 2er Blatt ebenso. Gewann man beide Kategorien, so bekam man seinen vor dem Spiel getätigten Einsatz verdoppelt. Verlor man beide Kategorien, so gewann das Casino. Gewann man eine der beiden Hände und verlor die andere, so war es ein Push (Unentschieden) und es ging weiter zum nächsten Spiel. Die Regeln, ein wenig dem heute populären Chinese Poker ähnelnd, waren also Baby einfach und ich sah mich durchaus in der Lage diese Regeln auch nach dem fünften oder siebten Rum & Coke immer noch drauf zu haben. Es schien das ideale Spiel! Einziges Handicap an der Sache war, dass das Haus (Casino) zwei klitzekleine Vorteile hatte.

1. Gab es ein Unentschieden bei einem der beiden Blätter zwischen dem Casino und dem Gast, so wurde dies wie ein Sieg für das Casino gewertet. Beim 5er Blatt kam dies so gut wie nie vor, aber bei dem 2er Blatt gab es diese Konstellation hin und wieder. Dann nämlich, wenn z.B. beide AK/AQ/KQ oder etwas in der Richtung vorne liegen hatten. Aber aufgrund der Seltenheit war dieses Handicap noch recht gut zu verschmerzen.
2. Der andere Vorteil des Hauses war jedoch wesentlich größer und bedeutender! Gewann man als Spieler beide Hände, so musste man auf seinen Gewinn im Anschluss noch 5% Kommission abführen. Hat man also z.B. 10$ gesetzt und gewonnen, so bekam nur 9,50$ ausgezahlt. Diese 5%, so war mir von Anfang an klar, könnten im Laufe eines langen Abends doch einen gewaltigen Unterschied über Plus oder Minus ausmachen. Insgesamt betrachtet spielte man also, bei beiden Handicaps zusammen betrachtet, gegen einen Hausvorteil von ca. 7-8%.

Gleich in der ersten Session merkte ich, dass es nur sehr schleppend voran ging. Oftmals gab es zig Pushes/Unentschieden nacheinander. Dann gewann man mal ein Spiel, anschließend verlor man eins. Als ich bereits den vierten oder fünften Rum&Coke intus hatte, stand ich immer noch auf Plus-Minus-Null. Das war also genau das, auf was ich gehofft und mir erwünscht hatte. Den ganzen Abend nicht groß konzentrieren müssen und mich parallel kostengünstig zu besaufen benebeln.

Mit der Zeit bemerkte ich aber, dass doch auch ein wenig Strategie dahinter steckte und dass man in gewissen Situationen das eigene Spiel noch ein klein wenig optimieren konnte, indem man z.B. eben das 5er oder auch das 2er Blatt stärker bzw. ausgeglichener bilden konnte um entweder die Gewinnoption zu maximieren bzw. das Verlustrisiko zu minimieren. Und diese von mir erworbene Fähigkeit teilte ich natürlich gern mit meinen (meist sehr hübschen) Nachbarinnen. Dies kam natürlich ausgesprochen gut an. Ein Flirt ließ sich kinderleicht starten, indem man nur ab und an ein paar kleine Sieg- und damit Geld bringende Spieltipps gab oder die hübsche Nachbarin zur Rechten und/oder Linken darauf aufmerksam machte kein Foul zu begehen (weil sie z.B. mit steigendem Alkoholpegel und/oder aufgrund fehlenden Wissens das 2er Blatt stärker machte als das 5er Blatt).

Die von nun am wichtigste Aufgabe für mich bestand eigentlich nur noch in der Tischauswahl zu Beginn einer Session…lol. Wo saßen die Frauen, die zum einen durchaus ein wenig Hilfe beim Spielen benötigen konnten, die zudem meinem Geschmack entsprachen und die eben nicht nur das Zocken im Kopf hatten (davon gibt es speziell in Vegas reichlich!)? Und die zudem auch den Flirtmodus auf ON geschaltet hatten. Hierfür entwickelte ich im Laufe der Wochen/Monate ein recht geschultes und sicheres Auge…den Rest und den weiteren Verlauf der Abende erspare ich mir an dieser Stelle!

Kommen wir aber nochmals zum oben angesprochenen Hausvorteil von 7-8% zurück. Auch gegen diesen eigentlich auf lange Sicht nicht zu kompensierenden Nachteil fand ich im Laufe der Zeit ein probates Gegenmittel. Dann nämlich, wenn alle Boxen am Tisch besetzt waren und jeder einzelne Spieler quasi offen in die eigenen Karten schaute um seine beiden Blätter zu generieren, kannte man ja bereits 42 Karten des Decks (6 Boxen á jeweils 7 Karten). Da Pai Gow Poker mit 52 Karten zzgl. Joker, der übrigens für alles eingesetzt werden konnte, gespielt wurde, blieben also nur noch 11 Karten übrig, die ich nicht kannte und von denen dann 7 für das Haus zum Generieren der Hände in die Auswahl kamen. Wenn ich nun also Platz 3 oder 4 in der Mitte des Tisches bekommen konnte, so war ich in der Lage sowohl nach links als auch nach rechts zu kiebitzen und die Karten aller Boxen mit einzusehen. Natürlich nur dann, wenn alle am Tisch offen spielten. Asiaten z.B. waren da meist Spielverderber, da sie ihren persönlichen Kick darin fanden die Karten nur ganz langsam offen zu fächern und vor allen Dingen so, dass nur sie selbst die Karten einsehen konnten. Auf Platz 1 und 2 sowie auch 5 oder 6 sitzend war dieses Kiebitzen ebenfalls unmöglich aufgrund der Bananen artigen Krümmung des Tisches.


         Kein Kiebitzen möglich, wenn Asiaten mit am Tisch saßen

Auch war es natürlich nicht möglich alle Karten in der Kürze der Zeit zu überfliegen. Ich konzentrierte mich also primär auf die Asse, Könige und Damen…mit steigendem Alkoholpegel dann nur noch auf die Asse/Könige…ganz zum Schluss nur noch auf den Joker :) Denn es war wichtig, dass sich der Joker schon zumindest mal bei einem der Spieler befand und nicht im Blatt des Casinos. All dies war ein recht großer Vorteil für mich, denn wenn ich z.B. wusste, dass sich alle Asse und Könige bei “uns“ befanden, dann konnte man beim 2er Blatt auch mal K oder QJ high stehen lassen und das 5er Blatt entsprechend stärker machen mit z.B. zwei Paaren. Natürlich sah das Casino es nicht gern, wenn ich zu beiden Seiten kiebitzte, aber da ich nur um sehr kleine Einsätze spielte, duldete man es. Die Kohle wurde sowieso an anderen Tischen gemacht.

Und so genoss ich meine regelmäßigen Pai Gow Tagesausflüge in wirklich jeglicher Hinsicht! Ich bekam nicht nur meinen Kopf frei, sondern unterm Strich kann ich zu 100% versichern, dass ich beim Pai Gow Poker trotz aller Trinkgelder für die Kellnerinnen & Dealerinnen definitiv keine Verluste gemacht habe über all die Jahre! Probiert es bei eurem nächsten Vegas-Trip einmal aus! Ihr werdet es nicht bereuen und wenn ihr euch an oben beschriebene Tipps haltet, dann klappt es nicht nur finanziell, sondern auch mit der Nachbarin :)

Mittwoch, Februar 18, 2015

Der größte Zocker aller Zeiten

Heute dreht es sich in meiner Rubrik “Storys aus Vegas“ um einen Mann, den die ganz eingefleischten Vegas-Fans eventuell kennen könnten…Anargyros Karabourniotis! Nein, doch kein Begriff? Bekannter ist er als Archie Karas oder “Archie, the Greek“ - klingelt es vielleicht jetzt? Falls immer noch nicht…kein Problem. Lehnt euch zurück und lest die Geschichte dieses griechischen Megazockers. Von ihm bzw. seiner Zeit in Vegas wird sicherlich auch noch in 100 Jahren gesprochen werden. Er wird vermutlich als der größte Zocker aller Zeiten in die Geschichte eingehen. 



Mit 15 Jahren verließ Archie seine griechische Heimat, nachdem sein Vater im Streit eine Schaufel nach ihm warf und ihn dabei fast umbrachte. Er heuerte auf einem Schiff als Kellner an und landete dann über Umwege in Los Angeles, wo er als Servicekraft in einem Restaurant arbeitete. Direkt neben dem Restaurant gab es einem Billardsalon und über die Jahre spielte Archie nach Feierabend sehr viel Poolbillard, entwickelte dabei eine enorme Stärke. Es gibt einige, die behaupten er sei zu damaligen Zeiten beim Pool unschlagbar gewesen. Im Laufe der Zeit verdiente er als Hustler am grünen Filz wesentlich mehr Geld als mit seiner Tätigkeit als Kellner. Irgendwann gingen ihm dann jedoch die Gegner beim Billard aus und dies war auch die Zeit, wo er zum ersten Mal mit einem anderen Spiel in Kontakt kam…Poker! Auch hier verstand Archie recht schnell, worauf es ankam und er konnte seine Bankroll stets vergrößern. 

Und jetzt kommen wir zu einer Eigenschaft von Archie, die ihn von fast allen anderen Menschen gehörig unterscheidet. Er ist/war in der Lage den positiven Lauf von Varianzen zu erkennen und seinen Lauf dann eben gnadenlos auszuspielen. Da wo andere vielleicht sagen, dass der entstandene Gewinn reicht um dann entsprechend abzubrechen, da geht es für Archie erst richtig los. Die Gewinne reinvestierte er “im Lauf“ immer wieder sofort um eben noch mehr Ertrag, sprich den Maximalgewinn rauszuholen. In seiner Zeit in Los Angeles hatte er so etliche Male aus dem Nichts heraus über eine Million Dollar zusammen um dann allerdings doch wieder alles zu verspielen und komplett Pleite zu gehen. Er musste also irgendwie noch lernen zu erkennen, wann der Lauf vorbei war um dann passend den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. 

Mit 50$ in der Tasche hatte er dann irgendwann (im Dezember 1992) genug von Los Angeles und ging nach Las Vegas. Auch hier zog er zunächst durch die Billardhallen um ahnungslose Touristen auszunehmen und um überhaupt überleben zu können. Nachdem er wieder eine passable Bankroll zusammen erspielt hatte, ging es an die Pokertische um sich nicht viel später gleich mit den Schwergewichten der damaligen Szene zu duellieren. All das, von dem ich bis jetzt berichtet habe, habe ich zugegebenermaßen Berichten aus dem Internet entnommen. Das jedoch, was ich ab jetzt schildere, das kann ich euch aus erster Hand erzählen! Ich war LIVE dabei!

Denn genau die Zeiten, wo Archie Karas so richtig heiß lief, erlebte ich in Las Vegas hautnah mit. An den Locations, wo Archie aktiv war, war ich quasi ebenfalls zu Hause. Zum ersten Male fiel er mir im Pokerroom von Binions Horseshoe (Downtown LV) auf. Während ich wie fast jeden Tag in den Baby-Limits spielte um mir meinen Lebensunterhalt auf harte Art und Weise mit nicht unter 8 Stunden pro Tag am Tisch zu verdienen, so saß Archie Karas auf einmal bei den ganz schweren Jungs mit am Tisch. Mit Doyle Brunson, Johnny Chan, Stu Ungar(
†), Chip Reese (†) und Bobby Baldwin. Manchmal waren auch Howard Lederer oder Jerry Buss (†), ehemaliger Besitzer der Los Angeles Lakers, mit von der Partie. Während ich 4-8$ Limit Holdem spielte, so spielten die Jungs 300-600$ oder eben noch höher. Und mitten drin auf einmal ein unbekanntes Gesicht. Der Grieche, der Wochen zuvor nicht einmal wusste, wie er nachts sein Hotelzimmer bezahlen sollte. Aber ein Archie Karas im Lauf war halt schwer zu besiegen und dies mussten auch Doyle & Co. anerkennen.

Und so hatte ‘Archie the Greek‘ schnell wieder die erste, dann auch die zweite Million Dollar zusammen. Irgendwann reichten und reizten ihn die beim Poker angebotenen Limits nicht mehr und er entdeckte eine neue Leidenschaft….Craps! Es ging an die Würfeltische und der wohl unglaublichste Run, den Las Vegas jemals gesehen hat, begann. Archie spielte von nun an mehrmals die Woche und es war jedes Mal eine einzige Show, wenn er ins Casino kam. Er spielte ganz allein am Tisch und mindestens 5 Security-Leute sicherten rund herum alles ab. In 2-3 Metern Entfernung standen innerhalb von ein paar Minuten mindestens 100 sensationsgeile Zuschauer und die meisten fieberten mit ihm mit. Die kleinste Einheit an Chips, die er verwand, waren zu Beginn die 500er, einige Wochen später dann die 5.000er! Und er kleisterte alles zu auf dem Tisch, worauf man überhaupt nur setzen konnte. Und dann ging es halt darum möglichst lange keinen SIEBEN zu werfen, denn mit jeder anderen Zahl gewann er. Und wenn er dies lange genug aushielt, dann presste er seine Einsätze und nahm erst dann Chips von den Feldern, wenn fast nichts mehr darauf passte. Er war sehr bald 5 Millionen Dollar vorn, nicht lange Zeit später bereits 10 Millionen Dollar.
Wenn Archie nun das Casino betrat, sprach es sich wie ein Lauffeuer herum und alle wollten zuschauen. Zum ersten Mal überhaupt habe ich es damals erlebt, dass eine Pokerpartie, in der ich mich befand, unterbrochen wurde! Das geschah sonst selbst nicht am 31.12. um Punkt 0.00 Uhr. Aber nun, als Archie am Craps-Tisch in Action war, wollten alle dem Spektakel beiwohnen und zuschauen. Auch ich konnte mich dieser Sensation nicht entziehen und stand teilweise stundenlang daneben, staunte einfach nur. Und ganz ehrlich: Ich glaube ich war nicht der Einzige, dem zumindest phasenweise mal folgender Gedanke aufkam: Wie schön es nämlich wäre, wenn Archie auf einmal sagen würde, dass alle Zuschauer, die jetzt gerade mit ihm railen und fiebern, zur Belohnung einen 5.000er Chip bekommen. Zumindest hätte es mich für etliche Monate wesentlich ruhiger schlafen lassen, denn gegen einen wochenlangen Antilauf am Pokertisch war ich zu damaligen Zeiten immer noch nicht wirklich gewappnet und es hätte meine sofortige Rückreise nach good old Germany bedeutet. Und Archie Karas hätte es finanziell vermutlich nicht einmal bemerkt, wenn er ein paar Dutzend Jetons gestreut hätte. Aber natürlich kam es nie zu solch einer Aktion...lol. 

Die ersten Gerüchte zu Archie's Spielweise kamen nun ebenfalls auf. Während die einen der festen Ansicht waren, dass er sich einfach nur inmitten eines Megalaufs befand und halt viel Massel hatte, so behaupteten andere ganz fest, dass er sich jahrelang genau auf diese Sessions im eigenen Wohnzimmer vorbereitete. Dass er sich einen alten ausrangierten Crapstisch gekauft und jeden Tag unzählige Stunden geübt habe um die Würfel 3 Meter weit schmeißen zu können, so dass sie punktgenau landeten, dann eben eine Rotation um was weiß ich wie viel Grad um sich selbst machten um dann mit der gewünschten Zahl auf beiden Würfeln eben genau oben liegen zu bleiben. Ich tendiere übrigens zu Variante A).

Aber Archie’s Lauf war noch längst nicht vorbei! 15 Millionen, 20 Millionen Dollar…25 Millionen Dollar im Gewinn! Und er erhöhte die Einsätze mit jeder Session. Wenn er nun ins Casino kam, so waren die Zuschauerreihen meist innerhalb von Sekunden so proppenvoll, dass man quasi nichts mehr mit bekam, sofern man nicht zu den allerersten in der Rail gehörte. Und auch Jack Binion, der Besitzer des Horseshoe, stand fortan nahezu immer in Sichtweite vom Tisch. Ich konnte spüren, wie der Hals von Jack Binion immer dicker wurde, wenn die Croupiers mal wieder eine neue Lage (Wert eine halbe Million Dollar) an 5.000er Chips aus dem Safe anforderten, weil sie ansonsten Archie’s Gewinne am Tisch nicht mehr auszahlen konnten.
Archie Karas war nun mehr als 30 Millionen Dollar vorn und wohl zum ersten Mal in der Geschichte von Las Vegas kam es zu der absolut kuriosen Situation, dass das Haus einen Spieler innigst darum bitten musste, die Chips aus seinem Safe in Banknoten einzutauschen, weil das Casino keinen einzigen 5.000er Chip mehr im Depot hatte!
Meist ließ Archie die Gewinne im Safe des Casinos. Ab und an packte er die Chips auch in eine Sporttasche, setzte sich ins Taxi und fuhr nach Hause…um dann am nächsten Tag mit der voll bepackten Sporttasche  (etliche Millionen!) wieder zurückzukommen und weiter zu zocken.

Ich habe keine Ahnung, was Archie Karas‘ Ziel damals war. Ob er vielleicht nur das Horseshoe platt spielen oder vielleicht gar alle Geldreserven von ganz Las Vegas erspielen wollte. Vielleicht wollte er, dass die Stadt irgendwann mal “Las Karas“ heißen sollte. Auch habe ich keine Ahnung, ob es Archie jemals bewusst war, wie viel Geld (er war jetzt 40 Mio vorn!) 40 Millionen Dollar überhaupt ist. Nur mal ein kleines Rechenbeispiel: Wenn er diese Summe mit einem Satz von 7,5% verzinst hätte – ja, solche Zinssätze gab es damals und es ist vermutlich sogar eher noch tief angesetzt – dann hätte er pro Jahr 3 Millionen Dollar ausgeben können, ohne dass sein Guthaben weniger geworden wäre. Das wären 250.000$ pro Monat gewesen oder umgerechnet gute 8.000$ pro Tag zum Verprassen oder zum Verzocken. Tja….da Las Vegas heute immer noch Las Vegas heißt und da es das gute alte Binions Horseshoe heute ebenfalls noch gibt, könnt ihr euch vermutlich denken, wie die Story ausgegangen ist. Sein Lauf war irgendwann vorbei, Archie fand einmal mehr das Bremspedal nicht. Es dauerte nur einige Monate und er war von 40 Millionen Dollar wieder bei Null angelangt…er hatte alles auf Heller und Pfennig wieder zurück verloren!

Las Vegas heißt immer noch Las Vegas und Binions Horseshoe gibt es auch noch! 

Sehr lange habe ich dann nichts mehr von ihm gehört. Ja, bis 2008, als er den Final Table bei einem WSOP Event (Razz) erreichte und für Platz 7 knapp 20.000$ erhielt. Ein Jahr später erreichte er abermals den Final Table, dieses Mal beim Deuce to Seven Draw Event, und für Platz 5 gab es knapp 54.000$. Ich dachte er könnte daraufhin eventuell einen abermaligen Kickstart zum Multimillionär hinlegen, aber dem war nicht so.

Die letzte (traurige) Nachricht kam im Herbst 2013. In einem Casino in Lakeside (Kalifornien) wurde er des Betruges überführt, als er beim Black-Jack einzelne Karten mit einem Färbemittel markiert und manipuliert hat. Er hatte dies wochenlang praktiziert und war mit dieser Methode knapp 8.000$ vorn. Anhand von Videosequenzen konnte man nachweisen, dass er sich illegal verhalten hatte. Er saß 73 Tage im Knast. Was Archie Karas aktuell macht, ist mir nicht bekannt, aber ich könnte darauf wetten, dass wir irgendwann nochmals etwas von ihm hören werden und er zu seinem letzten “Run“ ausholt. Ob er allerdings nochmals an die Summen von 1995 herankommt, das wage ich mal ganz stark zu bezweifeln.

Und was lernen wir daraus?

1. Im Lauf drauf! Bei positiver Varianz ruhig mal etwas risikoreicher an die Sache herangehen.
2. Passend die Handbremse ziehen, wenn es mal nicht (mehr) so richtig rund läuft.

Beides gilt im Übrigen nicht nur beim Spiel, sondern sehr häufig auch im richtigen Leben! 

Montag, Februar 09, 2015

Schutzengel im Einsatz!

Glaubt ihr an Schutzengel? Spürt ihr, dass ihr einen habt, der über euch wacht?

Ich glaube nicht nur daran, sondern weiß, dass ich einen habe. Zum ersten Male ist er in Erscheinung getreten, als ich 12 Jahre alt war. Beim Turnen an der Teppichstange im heimischen Garten bin ich aus zwei Metern Höhe auf den Boden geknallt und frontal mit dem Rücken aufgeschlagen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Die Diagnose wies aus, dass zwei Rückenwirbel angebrochen waren. Wären sie voll durch gewesen oder wäre die zentrale Landestelle nur einen Hauch höher gewesen, so hätte eine Querschnittslähmung gedroht bzw. wäre sogar wahrscheinlich gewesen. Sieben Wochen Krankenhaus und permanentes liegen in einem Korsettbett ließen mich wieder gesund werden.
Das zweite Mal war mein Schutzengel ganz nah bei mir, als ich mit 21 Jahren im Winter auf eisglatter Straße mit dem Taxi unterwegs war. Ich musste zur Dialysestation nach Münster um eine Patientin abzuholen. Irgendwie verloren die Reifen auf einer Eisscholle den Grip und ich anschließend auch die Kontrolle über das Auto. Ich machte eine saubere 360° Drehung. Allerdings nicht auf meiner eigenen Fahrbahn, sondern auf der Gegenfahrbahn! Und dies auf einer Bundesstraße (B64), die normalerweise sehr stark frequentiert ist. Wie durch ein Wunder kam jedoch von vorn kein einziges Auto und ich kam nach einer gefühlten Ewigkeit zwischen zwei Straßenpfeilern zum Stehen. Kein einziger Kratzer am Auto! Und auch ich war mit dem Schrecken davon gekommen. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn von vorn ein 40-Tonner gekommen wäre und mich aufgespießt hätte.

Mein Schutzengel stand mir im Leben noch einige weitere Male, auf die ich jetzt nicht im Detail eingehen möchte, ganz eng bei. Einmal ganz sicher in Las Vegas und von dieser Story, die ich sicher ebenfalls mein Leben lang nie vergessen werde, möchte ich heute berichten.   



Wir schreiben das Jahr 2002. Zum wiederholten Male hatte ich fast meinen kompletten Jahresurlaub dafür aufgebracht nach Las Vegas zu reisen. Und zwar nicht um irgendwelche Sightseeing-Touren zu unternehmen oder neu erbaute Casinos zu bestaunen, sondern um mich tagsüber am Pool von meinem Marketingjob in der Heimat ein wenig zu erholen und die Seele baumeln zu lassen um dann abends am Pokertisch Kohle zu machen. Im Limit Holdem war ich zu jener Zeit “on Top of my game“ und die alltägliche Frage war eigentlich nicht, ob ich gewinnen würde, sondern es ging nur darum, wie hoch mein Gewinn ausfallen würde. Mein Selbstbewusstsein war damals riesig…bis zum Anschlag!

Ich hatte mich im Binions Horseshoe, einem Hotel in Downtown Las Vegas, einquartiert. Während ich zu früheren Zeiten mein Zimmer meist auf der alten Ostseite des Hotels buchte, weil es eben schön günstig war und ich für 20$ pro Nacht eine Herberge fand, so war ich mittlerweile auf der Westseite des Hotels zu Hause. Dort, wo die Zimmer nicht nur dreimal so geräumig und viel moderner eingerichtet waren, sondern wo man zudem eben nicht hörte, was jeweils zwei Zimmer links und rechts von einem alles getrieben wurde.

Nach einem langen Tag am Pool und einem kleinen Entspannungsschlaf (7 Poolstunden bei schlappen 40 Grad können auch ganz schön schlauchen) machte ich mich gegen ca. 21.00h auf zum Pokerraum. Es war Samstagabend und ich war bereit für eine lange Nacht am Pokertisch, die ggfs. und vor allen Dingen abhängig von den Gegnern bis in die frühen Morgenstunden dauern könnte. 10/20$ war mittlerweile mein Limit. Das galt in Vegas hinter vorgehaltener Hand als das am schwersten zu schlagende Limit, weil eben nur Profis in diesen Limits saßen. Aber an den Wochenenden war dies anders. Es waren überwiegend Touristen in der Stadt und viele wollten unbedingt einmal in Binions Horseshoe pokern. Dort, wo alles begann und wo Johnny Moss Jahrzehnte zuvor sein über mehrere Monate dauerndes Duell gegen “Nick the Greek“ gewonnen hatte. An diesem historischen Ort zu spielen war den Touristen häufig einige Hundert Dollar wert und hier galt es für mich eben speziell an den Wochenenden zuzuschlagen und einen Teil des Kuchens zu schnappen. Der Pokerraum war wie an jedem Freitag und Samstag pickepacke voll. Ich machte mich auf den Weg zum Floorman. Shelly - über all die Jahre kannte ich natürlich jede Person im Horseshoe, die irgendwie mit dem Poker zu tun hatte - teilte mir mit, dass sie zwei 10/20 Tische am Laufen, aber derzeit eine Warteliste von 3 Spielern habe. Sie sagte mir, dass sie aktuell noch einen Seat Open im 2/4 Limit habe und fragte mich, ob ich bis dahin nicht dort noch ein wenig spielen möchte. OK…ich wechselte 100$ am Cashier und ging zu dem mir zugewiesen Tisch um die Wartezeit zu überbrücken.

Am Tisch angekommen, ich nahm Sitzplatz #4 ein, sind mir direkt mehrere Sachen aufgefallen.

1. Ich kannte keinen einzigen der Spieler. Es sprach also vieles dafür, dass es sich ausnahmslos um ahnungslose (pokertechnisch betrachtet) Touristen handelte. Was normalerweise und speziell beim No Limit Holdem meist eine wünschenswerte Konstellation ist, war beim Limit Holdem allerdings nicht wirklich so. Denn es bedeutete, dass sich im Schnitt 8 Spieler den Flop anschauten und auch noch nach dem River meist noch 2-3 Spieler im Rennen waren. Es kommt quasi immer zum Showdown und man musste zum Schluss die beste Hand vorzeigen! Bluffen war Harakiri und in der Regel völlig sinnfrei. Ich zog es normalerweise vor 2-3 Profis mit am Tisch sitzen zu haben und 5-6 Freier/Fische, da diese Situationen für mich wesentlich effektiver war. Dann konnte man hin und wieder zumindest auch ein paar Pötte stehlen.

2. Es herrschte eine absolut ausgelassene Stimmung am Tisch. Alle hatten richtig Spaß und lachten unentwegt. Typisch Touristentisch…dachte ich mir. Besonders der Spieler auf Sitzplatz #1 schien den Clown zu spielen. Er erzählte eine Anekdote nach der anderen und erntete jedes Mal eine ausgiebige Lachsalve. Er schien jedoch auch allen Grund zur guten Laune zu haben, denn ca. die Hälfte aller auf dem Tisch befindlicher Chips lag vor ihm. Er hatte bereits riesige Türme aufgebaut und viele Chips lagen noch drum herum, da er offenkundig nicht hinterher kam mit dem Aufstacken. Er schien einen Megalauf zu haben.

3. Der Spieler auf Platz 1 fiel aber nicht nur durch seinen vielen Chips auf, sondern auch durch seine Statur. Es war ein Hüne von einem Mensch. Selbst im Sitzen mache er einen imposanten Eindruck. Einen Hals konnte ich bei ihm nicht entdecken. Die muskulöse Schulter ging in einem durch zum Kopf. Und obwohl ich zugegebenermaßen hier und da dazu neige ein wenig zu übertreiben: seine Oberarme hatten mindestens 50% mehr Umfang als meine Oberschenkel! Und ich bin war ganz bestimmt nicht unsportlich, habe selbst fast 20 Jahre Leistungssport betrieben. Der ganze Körper – ich schätzte den farbigen Mann auf ca. 130 Kg – war ein einziges Muskelpaket!

Ich stieg mit dem Big Blind ein. Zwei Spieler limpten für jeweils 2$ und Mr. Muscleman raiste. Zwischen uns callten zwei weitere Spieler, so dass auch ich mit 96o den Flop abnahm. Dieser brachte K93. Alle checkten zum Sheriff auf Platz 1, der seiner Pflicht nachkam und setzte. Mit mir callte noch ein weiterer Spieler. Turnkarte war eine Blank und abermals das gleiche Spielchen. Check, check, bet…call, call. Riverkarte dann meine 6! Ich checke um Mr. Muscleman mal direkt einen check/raise zu verpassen. Er setzt auch und ich feuere 8$ raus. Der andere Spieler passt und er callt. „Two pair“, sage ich, und er zeigt mit AK. Ich hatte ihn am River ausgesuckt.
Zum ersten Mal wurde es etwas ruhiger am Tisch und auch sein Lächeln verschwand kurzzeitig. Während ich dann ein paar Hände in Serie passte, bekam ich mit, dass es sich bei Mr. Muscleman wohl irgendwie um einen Promi handeln musste, denn an der Rail blieben einige Leute stehen und zeigten auf ihn. Ein paar Minuten später kam gar ein unbeteiligter Mann zu uns an den Tisch und sprach ihn an. Er sagte, dass er ein großer Fan sei und bat ihn um ein Autogramm. Der Wunsch wurde auch prompt erfüllt. Am Pokertisch gewann ich dann kurze Zeit später auch mein zweites Duell gegen ihn….da gab er aber bereits am Turn auf. Als unser besagter Spieler dann aufstand um auf Toilette zu gehen, erkannte ich, dass er nicht nur riesig breit war, sondern auch verdammt groß. Irgendwo an die zwei Meter. Er konnte sich vor Kraft kaum vorwärts bewegen.
Als er weit genug weg war, bekam ich gleich von mehreren Leuten die Frage gestellt, ob ich ihn denn nicht kenne. Ich verneinte. „Es ist Henry Tillman, Box-Olympiasieger im Schwergewicht von 1984“, kam es zeitgleich aus mehreren Kehlen. „Er hat damals in der US-Qualifikation zu den olympischen Spielen zweimal gegen Mike Tyson gewonnen, sich aufgrund dessen für Olympia qualifiziert und dann 1984 bei den Spielen in Los Angeles die Goldmedaille im Schwergewicht gewonnen“.
Ich hatte seinen Namen ehrlich gesagt noch nie gehört. Als Profi boxte Tillman dann 1990 nochmals gegen Mike Tyson, ging bei diesem Kampf aber bereits in der ersten Runde schwer KO. Auch gegen Evander Holyfield zog er den Kürzeren.
Henry Tillman
Jetzt am Pokertisch wollte ich es Mike Tyson gleich tun. Einen KO würde ich Tillman im Limit Holdem kaum zufügen können, aber die ersten beiden Runden hatte ich bereits nach Punkten gewonnen. Aber es sollte noch besser kommen. In der dritten Runde unseres Duells hatte ich AJs am Button und nach mehreren Limpern raiste ich auf 4$. Mit Tillman callten noch 4 weitere Spieler. Der Flop konnte mit QT3 und zwei Karten von meiner Suit kaum besser ausfallen. Alle checkten zu mir und ich spielte natürlich an. Neben Tillman callte jetzt nur noch ein weiterer Spieler. Turnkarte eine weitere Drei und wieder das gleiche Spielchen. Check, check und ich setzte. Immerhin hatte ich noch 9 Outs für den Flush und drei Könige hätten mir die Straße gebracht. Zudem hatte ich natürlich auch noch die Hoffnung, dass beide Gegner passen würden und ich somit kampflos den Pot gewinne. Der eine Gegner passte in der Tat und somit blieben nur noch Mr. Kraftpaket und ich über. Jetzt brauchte ich Hilfe, ansonsten würde die dritte Runde unseres Duells für ihn ausgehen. Ich setzte ihn auf ein kleines Pärchen, vielleicht hatte er aber auch die 10 oder gar die Dame getroffen. Riverkarte war dann eine 6, aber leider nicht von meiner Suit…alle Draws verpasst! Tillman checkte zu mir und ich sah meine einzige Chance auf den Gewinn des Pots, indem ich nochmals setzen und er dann hoffentlich passen würde. Nach ein paar Sekunden des Überlegens callte er jedoch. Shit…dachte ich mir. „You got me this time, I missed everything“, und legte dabei AJ offen auf den Tisch. Jetzt schaute er zunächst aufs Board, dann in seine Hand. Anschließend nochmals aufs Board. Er konnte meine Hand nicht schlagen und hatte mich offenkundig mit Ace high und somit ohne Paar gecalled. Mein Bube kam jedoch in die Wertung. Während der Dealer mir den Pot zuschob, merkte ich, dass Mr. Tillman alles andere als amused war. Er hatte die dritte Runde gegen mich verloren. Sein Blick verriet mir, dass ich nicht nur sehr vorsichtig sein, sondern mich am besten direkt wieder verziehen sollte.Er war richtig schön auf Betriebstemperatur.

Aber ich dachte nicht daran mitten im Lauf aufzuhören. Ich hatte zwar durchaus das Gefühl, dass es gleich knallen könnte, aber wir waren ja in einem Casino und da würde wohl so schnell nichts passieren. Dennoch kreisten Gedanken durch meinen Kopf, was denn passieren könne, wenn er einen rechten Schwinger abfeuern würde. Sehr weit saß ich nicht von ihm entfernt und seine langen Arme würden die Distanz gewiss überbrücken. Ein Volltreffer würde mich unter Garantie für eine halbe Stunde ins Phantasieland schicken. Selbst ein linker Jab ans Kinn würde locker einen mehrfachen Kieferbruch verursachen. Aber was wäre, wenn er wirklich um den Tisch herum käme und mich mal richtig in die Mangel nehmen würde? Wie lange würde es dauern, bis die Security-Leute des Casinos da wären um mir zu helfen? Und wie viele Security-Sheriffs würden benötigt werden um ihn in den Griff zu bekommen und ihn abhalten mich zu versohlen? Ich versuchte diese Gedanken recht schnell wieder aus meinem Kopf zu verbannen. Aber sicherheitshalber machte ich mir doch einen Plan B und schaute bereits in welche Richtung ich flüchten könnte, wenn er wirklich aufstand um mich zu kriegen. Der Schnellere würde sicher ich sein aufgrund seiner Kraftmasse. Sollte ich vielleicht doch besser aufhören, eincashen und einem Disput aus dem Wege gehen? NEIN!
Und dann kam es wie es wirklich kommen musste…ich trieb es (unvernünftiger Weise!) auf die Spitze und legte mein Meisterstück hin. Tillman raiste einmal mehr, ein weiterer Spieler callte das Raise und mit 97 von Karo ging ich natürlich ebenfalls mit. Nach mir callte noch ein Spieler und auch der Big Blind schloss sich an. Es weiterer großer Pot stand an. 
Der Flop brachte JT4 mit einem Karo. Nicht der beste, aber auch nicht gerade ein Katastrophenflop. Der Big Blind setze direkt an und Mr. Olympiasieger raiste, was allerdings jetzt nicht wirklich überraschend kam. Der Spieler zwischen ihm und mir passte, ich callte (schlechter Call, aber im Lauf drauf!) und auch der Spieler hinter mir sowie der Big Blind gingen mit. 37$ lagen im Pot. Turnkarte Karo 3! Mit dem Bauchschuss für die Straße hatte ich somit nun auch noch einen Flush-Draw. Henry setzte abermals an und jetzt raiste ich! Eigentlich ein völlig sinnfreies Raise, da ich a) wußte, dass er mich sowieso mit allem callen würde (selbst mit As hoch) und b) ich die beiden Spieler hinter mir durch mein Raise vermutlich vergraulen würde. Und da ich meine Hand ja eh noch komplettieren musste, hätte ich die beiden also durchaus noch dabei lassen können. Die beiden Spieler hinter mir gingen dann aber tatsächlich raus…vielleicht auch irgendwie der Tatsache geschuldet, dass sie befürchteten gleich Zeuge eines körperlichen Angriffs zu sein und um sich dafür schon einmal in eine Sicherheitsposition zu bringen. Tillman callte. Jetzt brauchte ich dringend eine 8 oder ein Karo. Aber eine Pik 2 zerstörte alle meine Träume & Illusionen! Tillman checkte zu mir. 53 $ lagen im Pot. Ein Check von mir wäre einer Aufgabe gleich gekommen, denn besser als 9 hoch wäre er sicher alle Male. Also ein letzter Bluffversuch! Ich setzte 4 $.
„Fuck…I can’t beat you!“, brummelte er vor sich hin. Er überlegte aber dennoch zu callen, während ich meinen Atem anhielt. „Schmeiß jetzt bitte deine Karten weg“, kreiste es durch meinen Kopf. Dann griff er zu seinen Chips und es sah alles danach aus, als wenn er die 4$ für den Call bezahlen würde. Dann entschloss er sich jedoch nochmals anders und knallte wutentbrannt KQ von Karo (!) offen auf den Tisch. „I had the whole deck to beat your fucking ass“, schoss es alles andere als freundlich aus ihm heraus und ich merkte, wie seine Wut, fast sogar Hass, mir gegenüber auf dem Höhepunkt angelangt war. Und jetzt machte ich etwas, was ich bis heute nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich knallte meine Hand mit Schmackes offen in die Mitte des Tisches und zeigte meinen Bluff. Von diesem Moment an hatte ich wirklich Angst um mich selbst. Ihm stand der Schaum vor dem Mund.
Dann meine Erlösung! „Martin, your 10/20 Limit Holdem seat is open!“ schallte es über die Lautsprecher. Die Stimme von Shelly erklang noch nie so erotisch wie just in diesem Moment und nie zuvor hatte ich so sehnsüchtig und freudig darauf gewartet, dass mein Platz an einem Pokertisch frei wurde! Ich holte mir ein paar Racks ohne Tillmann dabei aus den Augen zu verlieren. Aber auch er behielt mich im Blick und ich konnte aus seinen Augen ablesen, dass ich jetzt besser nicht nach draußen vor die Tür gehen sollte.Vermutlich hätte er Hackfleisch aus mir gemacht. Ich spielte die ganze Nacht durch am anderen Tisch…bis ich mir ganz sicher war, dass er wirklich weg war und nicht irgendwo auf mich lauern würde.

Als ich ein paar Wochen später zu Hause war, recherchierte ich im Internet ein wenig über ihn. Als ich las, dass Henry Tillman zum damaligen Zeitpunkt gerade mal ein paar Wochen "auf freiem Fuß" war, weil er auf offener Straße einen Mann erschossen hatte, da fuhr es mir durch alle Glieder. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich damals in weitaus größerer Gefahr steckte als ich mir nur ansatzweise vorstellen konnte. Meinen Schutzengel hatte ich am besagten Abend ganz nah bei mir! Wobei ich ergänzen möchte, dass Tillman die ihm vorgeworfene Tat immer bestritten hat. Dennoch hat er 6 Jahre in Sing-Sing verbracht. Die Beweislast war wohl zu erdrückend. Heute ist Henry Tillmann als Boxtrainer in Los Angeles tätig und kümmert sich um "gestrandete" Jugendliche. Er ist auf einem sehr guten Pfad und ich denke er ist ein ehrenwerter Mann, der sehr viel Zeit hatte über den Sinn des Lebens nachzudenken. Ehrlich gesagt würde ich ihn gern mal wiedertreffen um mich für mein dummes Verhalten seinerzeit am Pokertisch bei ihm zu entschuldigen!

  

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